B. Züricher: «Aus dem Kaleidoscop meines Lebens». Autobiografie einer Berner Malerin

Cover
Titel
«Aus dem Kaleidoscop meines Lebens». Autobiografie einer Berner Malerin
Weitere Titelangaben
Herausgegeben und mit Erläuterungen versehen von Matthias Fischer


Autor(en)
Züricher, Bertha
Erschienen
Zürich 2022:
Anzahl Seiten
264 S.
Preis
CHF 34.00
von
Emil Erne

Was für ein schönes Buch! Die Form erfreut das Auge, der Inhalt berührt das Herz. Das Grafikerduo Franziska Schott und Marco Schibig aus Gampelen hat es gestaltet. Ein haptisch angenehmes Papier (Daunendruckpapier), das den Anforderungen der zu druckenden Abbildungen entspricht und leicht getönt ist, erinnert an Zeichenpapier. Eine gut lesbare Schrift unterscheidet den Haupttext von den Bildlegenden und dem Anhang (Stone serif und Stone sans). Der gediegenen Gestalt entspricht der Inhalt − «Aus dem Kaleidoscop meines Lebens. Ernstes und Heiteres in einer Malerinnenlaufbahn», wie die Autobiografie genau betitelt ist.

Die Berner Malerin, Zeichnerin und Holzschneiderin Bertha Züricher wurde 1869 als Tochter eines Oberrichters und Obersten aus Burgdorf und einer gebürtigen Thunerin aus der Familie Lohner geboren und wuchs in der Länggasse in Bern auf. Schon früh fühlte sie sich zur Kunst hingezogen, aber der Tod ihrer Eltern 1887 beziehungsweise 1888 liess sie zunächst Lehrerin werden. Als erste Frau erhielt sie an der neu gegründeten Berner Frauenarbeitsschule eine Festanstellung. Mit 26 Jahren folgte sie dann ihrer Berufung und bildete sich mit grossem Arbeitseifer zunächst in München und danach in Paris zur Malerin aus. In der französischen Hauptstadt errang sie erste Erfolge; viele Bekanntschaften und prägende Erfahrungen liessen Paris zu ihrer geliebten «Kunstmetropole» (S.118) werden, wo sie Jahre verlebte, «die zugleich die anspornendsten und auch die schwersten in meinem Leben waren» (S. 85).

In der Schweiz dagegen und insbesondere in Bern, wo sich ihr Atelier seit 1916 an der Postgasse 68 und in den letzten Jahren an der Junkerngasse 27 befand, hatte sie Mühe, Anerkennung zu finden. Sie war mit dem Vorwurf der Mittelmässigkeit, aber auch mit Schikanen durch «verständnislose Farbenbrüder» (S.141) konfrontiert. Ein Stipendium der Eidgenossenschaft blieb ihr verwehrt, und ihr lang ersehnter Wunsch nach einer Einzelausstellung in der Berner Kunsthalle ging erst zu ihrem 70. Geburtstag in Erfüllung. In Zeitungsberichten erhielt sie mehr Lob, und namentlich Joseph Viktor Widmann vom Bund und Rudolf von Tavel vom Berner Tagblatt förderten sie nach Kräften.

Ihren Lebensunterhalt bestritt die Künstlerin aus Verkäufen von Bildern, für die sie verschiedene Materialien und Techniken wählte, wie Aquarell, Bleistiftzeichnung, Öl auf Leinwand. Eine verlässliche Einnahmequelle waren ihre Holzschnitte. Zudem genoss sie immer wieder die Unterstützung durch ihre Verwandten sowie Freundinnen und Freunde in Bern, München oder Paris, sei es in Form von Geldbeträgen oder Einladungen zu Studien- und Erholungsaufenthalten im Berner Oberland, im Wallis, in München, an der Nordsee, in der Provence und anderswo. Die Vielzahl ihrer Kontakte, die sie neben der engen Beziehung zu ihren Geschwistern zu bekannten Malern sowie Freunden und Freundinnen dank ihres offenen Wesens persönlich oder im Briefverkehr während Jahrzehnten pflegte, ist beeindruckend.

Bertha Züricher war eine selbstständige Frau. Auf Ehe und Kinder verzichtete sie bewusst, um sich ohne Konzessionen der Kunst zu widmen. Als Frau in einer von Männern beherrschten Domäne erfuhr sie Vorbehalte und Zurücksetzungen, weshalb sie in der Frauenbewegung aktiv wurde. Auch für den Frieden engagierte sie sich, so etwa in der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit. Ferner gehörte sie Künstler-vereinigungen an; 1909 war sie Gründungsmitglied der Berner Sektion der Gesellschaft schweizerischer Malerinnen und Bildhauerinnen. Ihr ganzes Leben lang begab sie sich immer wieder auf Reisen, die ihr wertvolle Begegnungen und bleibende Eindrücke verschafften; noch fünf Monate vor ihrem Tod 1949 weilte sie in der Provence, die ihr zur richtigen «Malheimat» geworden war (S. 206), nachdem sie dort 1930 über eine Pariser Freundin günstig ein Altstadthäuschen hatte erwerben können.

Inmitten der sich rasch verändernden modernen Kunstrichtungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts behielt sie ihren um 1900 entwickelten postimpressionistischen Stil bei. Ihr Anliegen war die realitätsnahe Schilderung des Schönen und Interessanten, weshalb ihr «Verismus» (S. 120) als Stilrichtung zugewiesen wurde. Weil die hochalpine Landschaft sie faszinierte und sie häufig ihre Malsachen auf Bergwanderungen weit hinauf mitschleppte, kann sie auch als eine von wenigen Hochgebirgsmalerinnen gelten (S. 66).

Ihr malerisches und zeichnerisches Werk umfasst rund 1500 Bilder − Porträts, Landschaften und Stillleben − sowie 160 Druckgrafiken. Insgesamt war sie an mehr als 300 Ausstellungen in Deutschland, Frankreich und der Schweiz beteiligt.

Die Autorin erzählt heiter und abgeklärt von den Wechselfällen ihres Lebens, das auch Enttäuschungen und Verluste einschloss, aber immer wieder zu glücklichen Wendungen dank der Unterstützung durch gute Menschen führte. Sie hat ihre Autobiografie 1945 im Alter von 76 Jahren abgefasst: Weil sie wegen des Zweiten Weltkriegs nicht wegfahren konnte, unternahm sie stattdessen eine «Reise durch meine Erinnerungswelt» (S. 12). Zweck der Memoiren ist es, ihren «Weg zur Kunst» (S. 16) nachzuzeichnen. Das Manuskript befindet sich im Familienbesitz; eine weitgehend identische Fassung liegt im Nachlass in der Burgerbibliothek Bern.

Während 14 Fotos einander hauptsächlich chronologisch folgen, sind 48 durchwegs gute Reproduktionen der Werke in Motivgruppen locker im Buch verteilt, ohne mit dem benachbarten Text in Zusammenhang zu stehen. Querverweise im Text stellen den Bezug zu den Bildern her. Die teils ausführlichen Legenden lassen sich als Wegweiser durch Bertha Zürichers Leben und Schaffen lesen.

Der Kunsthistoriker Matthias Fischer hat als umsichtiger Herausgeber im Anhang die wichtigsten Lebensdaten der Malerin zusammengestellt sowie Anmerkungen und ein Personenregister beigefügt. Bei manchen der erwähnten Personen wären ausführlichere Hinweise und eine präzisere kunsthistorische Einordnung für interessierte Laien wünschenswert gewesen.

Zitierweise:
Erne, Emil: Rezension zu: Züricher, Bertha: «Aus dem Kaleidoscop meines Lebens». Autobiografie einer Berner Malerin. Herausgegeben und mit Erläuterungen versehen von Matthias Fischer. Zürich: Hier und Jetzt 2022. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 84 Nr. 3, 2022, S. 62-64.

Redaktion
Autor(en)
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 84 Nr. 3, 2022, S. 62-64.

Weitere Informationen
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit